Hi und viele Gruesse nach Deutschland,
nach einigen Tagen hier in Wolgograd melde ich mich dann auch mal wieder schriftlich.
Meine ersten Tage hier waren ausserst unangenehm, wenn man mal das Wetter betrachtet. Wahrscheinlich war es einfach wie bei euch, nur dass die Schneeschmelze hier noch dazu gefuehrt hat, dass die Wiese, die hier Wohnheim und Uni umgibt und somit gleichzeitig Hauptverkehrsweg ist,
sich in ein Schlammloch verwandelt hat.
Es ist schoen sagen zu koennen, dass diese Zeit hier vorbei ist, wenn auch nur voruebergehend, weil anstelle des Fruehlings uns der Winter noch einmal voll getroffen hat. Temperaturen von unter 10 Grad minus am Tag stehen gerade auf dem Programm und dazu gibt es noch einen ordentlichen Wind, sodass der Aufenthalt draussen schon gut geplant sein sollte.
Das hat mich natuerlich nicht davon abgehalten trotzdem ein wenig die Stadt zu erkunden. Ist man erst einmal "in der Stadt" (wir sind es hier naemlich nicht) so gibt sich diese ganz lebendig, auch wenn mir immer wieder versichert wird, dass die Stadt erst im Sommer aufblueht. Von "in der Stadt" und "hier" spreche ich deshalb, weil sich Wolgograd, je nachdem wen man gerade fragt 80-100km an der Wolga entlang hangelt und das Wohnheim der WolGU (G steht fuer gossurdarstwennij=staatlich und U fuer Universitaet) ist bestimmt 20 km vom Stadtzentrum entfernt.
Vor einigen Tagen waren wir dann auch im wichtigsten Museum der Stadt, dem Mueseum der Verteidigung Wolgograds gegen die faschistische Armee. In diesem gibt es unter anderem ein 120m langes, in die Kuppel des Museums gekleidetes Gemaelde, dass den Verlauf der Schlacht vom Huegel der Stadt beschreibt, auf dem heute die "Mutter Heimat", eine 80m hohe Statue zur Erinnerung an den Sieg, steht.
Wie man also unschwer erkennen kann, ist der 2. Weltkrieg und vor allem der Sieg der roten Armee in Russland noch immer ein grosses Thema. Das wurde auch gestern mal wieder deutlich, am sogenannten Tag der Maenner, an dem die Helden der Verteidigung Russlands gegen die faschistische Armee zelebriert wird.
Das Leben hier allgemein hat auch schon eine recht russische Form angenommen und man versuch gerade sich daran anzupassen.
So sollte man von den meisten Aussagen ein paar Prozent Tolleranz bezueglich der Machbarkeit abziehen. Zumindest sollte man nicht deutsche Massstaebe nutzen, wenn von Dozenten, Stundenplaenen, etc. gesprochen wird.
Ein Dozent hier, also an der Uni ist auch gerne mal 25 Jahre alt und nicht gerade professionell, ein Stundenplan ist etwas, was man sich selber zusammensucht und versprochene UNterrichtsstunden finden unter keinen Umstaenden direkt statt. Sehr kurios ist auch, dass davon gesprochen wird, dass ein Dozent, der zur Zeit in Petersburg verweilt und bald wieder auftaucht unseren Stundenplan hat, um dann vor ein paar Tagen zu erfahren, dass es weder Dozent noch Studenplan gibt.
Wenn man jetzt mal von der etwas langsam anlaufenden Organisation von der Uni absieht, so gibt es auch im Alltag immer wieder kuriose Situationen zu erleben. Jemand kommt heute vorbei um dir den Internetzugang zu installieren, sollte besser frei mit irgendwann bekommst du das schon uebersetzt werden. Was man definitiv lernt ist Dingen hinterherzulaufen. Man bekommt das Gefuehl Russland ist eine riesige Behoerde, fuer die man viele Passierscheine benoetigt.
Passierschein bringt mich auf das naechste Thema. Das Wohnheim der WolGU ist abends nicht fuer Gäste zugänglich und nach 23:00 Uhr kommt man gar nicht mehr herein - offiziell.
Ich uebersetze kurz: Wenn du Geld hast, so sind diese Aussagen verhandelbar.
Leider fehlt mir selber noch die Sprachkompetenz um diese Verhandlungen zu fuehren, aber davon zu hoeren ist immer wieder nett.
So kostet ein Viertagesaufenthalt eines Gastes nebenan (Betten gibt es meist mehr als Studenten auf den Zimmern) ca. 4€ ein Abendeinlass kann schon einmal 2€ für mehrere Personen kosten, das hat aber auch einen guten Grund:
Es gab in der Woche vor meiner Ankunft irgendwelche Schwierigkeiten mit einer nicht angemeldeten Person, weshalb das Rektorat eine Omi eingestellt hat, die die Bewachungsmannschaft des Wohnheims (Bewachen heisst natuerlich Kaaf trinken) bewacht.
Dies macht die Huerde zu verhandeln auf jeden Fall groesser und wir sind vorgestern, als wir Fussball in der Stadt schauen wollten bereits einmal gescheitert. Von anderen Studenten hat man allerdings gehoert, dass die Omi lediglich fuer eine hoehere zu entrichtende Gebuehr sorgt, nach dem Motto je höher der Posten desto höher die Gebühr. Werde noch einmal versuchen auf Dauer eine etwas genauere Tabelle aufzustellen, evtl. auch mit öffentlichen Einrichtungen und anderen Dingen. Auf jeden Fall ein interessantes Forschungsgebiet, für dass ich schnellstens an mehr Sprachkompetenz kommen sollte.
Interessant zu beobachten ist auch die allgemeine Einstellung gegenüber Umweltschutz und Energieverbrauch.
Auf die Aussage, dass Energie, wenn man mal von den Benzinpreisen ausgeht, hier doch recht billig sei (ca.40-50 Cent für Benzin, 20 Cent für LPG), schaut man in sehr erstaunte Gesichter. Für Russen ist das sehr viel und sollte es auch sein, denn Zentralheizung in Russland ist etwas anders definiert, als bei uns.
Zentral heißt: Die Heizung rennt bis mitte April permanent und in allen Räumen und die Temperatur wird ueber die Fenster reguliert. Also im Besten Fall Heizung läuft auf Volldampf, Fenster steht auf. Dem ist aber i.d.R. nicht so, sondern eher Fenster zu, Heizung an. Dementsprechend "angenehme" Temperaturen hat man hier überall, heißt sehr stickig und äußerst warm. Auch beim Schlafen wird das Fenster nicht geöffnet - naja so langsam gewöhne ich mich daran und gleiche das mit einem morgendlichen Spaziergang oder zumindest dem Weg zur Uni wieder aus.
Dass das Licht im Flur und im Bad durchgehend eingeschaltet bleibt, auch daran musste ich mich zunächst gewöhnen. Zu Anfang habe ich immer aus Gewohnheit alles ausgeschaltet, weshalb ich mehrmals Schelte bekam mit der Begrüdung: "Du musst das Licht brennen lassen, sonst brennen die Glühbirnen schneller durch und die sind teuer!" - "Alles klar!"
Ansonsten kann ich Euch berichten, dass mein erster Film entwickelt ist und im Netz steht (werde gleich mal versuchen den auf dieser Seite zu verlinken), der Film meiner Anreise ist leider gar nichts geworden, weil ich wohl eine Einstellung an der Kamera falsch gewählt habe. Darum bin ich sehr traurig, aber weitere Reisen folgen bestimmt und dann gibt es neue Fotos.
Soviel zunächst einmal und viele Grüße!
Raphael
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Gazpromabhängiger grüßt gen Osten!
AntwortenLöschenHerlich! Ich liebe ja so Korruptionsgeschichten im kleinstem Stil ala "ich habe sog. Sagen, also tu mir! sodann tu ich dir"
Schade das die Uni so sehr abseits gelegen ist. Auf den Bildern siehts so aus, als ob man auf das eigene Echo lange warten kann. Einfach mal in die Gegend gepflanzt die ganzen Sachen.
Aber du lebst dich da ein, da hab ich keine Bedenken.
Man hört von sich...
Gruß Lalu