Dienstag, 24. Februar 2009

Energiesparen und andere Kuriositaeten

Hi und viele Gruesse nach Deutschland,

nach einigen Tagen hier in Wolgograd melde ich mich dann auch mal wieder schriftlich.
Meine ersten Tage hier waren ausserst unangenehm, wenn man mal das Wetter betrachtet. Wahrscheinlich war es einfach wie bei euch, nur dass die Schneeschmelze hier noch dazu gefuehrt hat, dass die Wiese, die hier Wohnheim und Uni umgibt und somit gleichzeitig Hauptverkehrsweg ist,
sich in ein Schlammloch verwandelt hat.
Es ist schoen sagen zu koennen, dass diese Zeit hier vorbei ist, wenn auch nur voruebergehend, weil anstelle des Fruehlings uns der Winter noch einmal voll getroffen hat. Temperaturen von unter 10 Grad minus am Tag stehen gerade auf dem Programm und dazu gibt es noch einen ordentlichen Wind, sodass der Aufenthalt draussen schon gut geplant sein sollte.
Das hat mich natuerlich nicht davon abgehalten trotzdem ein wenig die Stadt zu erkunden. Ist man erst einmal "in der Stadt" (wir sind es hier naemlich nicht) so gibt sich diese ganz lebendig, auch wenn mir immer wieder versichert wird, dass die Stadt erst im Sommer aufblueht. Von "in der Stadt" und "hier" spreche ich deshalb, weil sich Wolgograd, je nachdem wen man gerade fragt 80-100km an der Wolga entlang hangelt und das Wohnheim der WolGU (G steht fuer gossurdarstwennij=staatlich und U fuer Universitaet) ist bestimmt 20 km vom Stadtzentrum entfernt.
Vor einigen Tagen waren wir dann auch im wichtigsten Museum der Stadt, dem Mueseum der Verteidigung Wolgograds gegen die faschistische Armee. In diesem gibt es unter anderem ein 120m langes, in die Kuppel des Museums gekleidetes Gemaelde, dass den Verlauf der Schlacht vom Huegel der Stadt beschreibt, auf dem heute die "Mutter Heimat", eine 80m hohe Statue zur Erinnerung an den Sieg, steht.
Wie man also unschwer erkennen kann, ist der 2. Weltkrieg und vor allem der Sieg der roten Armee in Russland noch immer ein grosses Thema. Das wurde auch gestern mal wieder deutlich, am sogenannten Tag der Maenner, an dem die Helden der Verteidigung Russlands gegen die faschistische Armee zelebriert wird.
Das Leben hier allgemein hat auch schon eine recht russische Form angenommen und man versuch gerade sich daran anzupassen.
So sollte man von den meisten Aussagen ein paar Prozent Tolleranz bezueglich der Machbarkeit abziehen. Zumindest sollte man nicht deutsche Massstaebe nutzen, wenn von Dozenten, Stundenplaenen, etc. gesprochen wird.
Ein Dozent hier, also an der Uni ist auch gerne mal 25 Jahre alt und nicht gerade professionell, ein Stundenplan ist etwas, was man sich selber zusammensucht und versprochene UNterrichtsstunden finden unter keinen Umstaenden direkt statt. Sehr kurios ist auch, dass davon gesprochen wird, dass ein Dozent, der zur Zeit in Petersburg verweilt und bald wieder auftaucht unseren Stundenplan hat, um dann vor ein paar Tagen zu erfahren, dass es weder Dozent noch Studenplan gibt.

Wenn man jetzt mal von der etwas langsam anlaufenden Organisation von der Uni absieht, so gibt es auch im Alltag immer wieder kuriose Situationen zu erleben. Jemand kommt heute vorbei um dir den Internetzugang zu installieren, sollte besser frei mit irgendwann bekommst du das schon uebersetzt werden. Was man definitiv lernt ist Dingen hinterherzulaufen. Man bekommt das Gefuehl Russland ist eine riesige Behoerde, fuer die man viele Passierscheine benoetigt.
Passierschein bringt mich auf das naechste Thema. Das Wohnheim der WolGU ist abends nicht fuer Gäste zugänglich und nach 23:00 Uhr kommt man gar nicht mehr herein - offiziell.
Ich uebersetze kurz: Wenn du Geld hast, so sind diese Aussagen verhandelbar.
Leider fehlt mir selber noch die Sprachkompetenz um diese Verhandlungen zu fuehren, aber davon zu hoeren ist immer wieder nett.
So kostet ein Viertagesaufenthalt eines Gastes nebenan (Betten gibt es meist mehr als Studenten auf den Zimmern) ca. 4€ ein Abendeinlass kann schon einmal 2€ für mehrere Personen kosten, das hat aber auch einen guten Grund:
Es gab in der Woche vor meiner Ankunft irgendwelche Schwierigkeiten mit einer nicht angemeldeten Person, weshalb das Rektorat eine Omi eingestellt hat, die die Bewachungsmannschaft des Wohnheims (Bewachen heisst natuerlich Kaaf trinken) bewacht.
Dies macht die Huerde zu verhandeln auf jeden Fall groesser und wir sind vorgestern, als wir Fussball in der Stadt schauen wollten bereits einmal gescheitert. Von anderen Studenten hat man allerdings gehoert, dass die Omi lediglich fuer eine hoehere zu entrichtende Gebuehr sorgt, nach dem Motto je höher der Posten desto höher die Gebühr. Werde noch einmal versuchen auf Dauer eine etwas genauere Tabelle aufzustellen, evtl. auch mit öffentlichen Einrichtungen und anderen Dingen. Auf jeden Fall ein interessantes Forschungsgebiet, für dass ich schnellstens an mehr Sprachkompetenz kommen sollte.

Interessant zu beobachten ist auch die allgemeine Einstellung gegenüber Umweltschutz und Energieverbrauch.
Auf die Aussage, dass Energie, wenn man mal von den Benzinpreisen ausgeht, hier doch recht billig sei (ca.40-50 Cent für Benzin, 20 Cent für LPG), schaut man in sehr erstaunte Gesichter. Für Russen ist das sehr viel und sollte es auch sein, denn Zentralheizung in Russland ist etwas anders definiert, als bei uns.
Zentral heißt: Die Heizung rennt bis mitte April permanent und in allen Räumen und die Temperatur wird ueber die Fenster reguliert. Also im Besten Fall Heizung läuft auf Volldampf, Fenster steht auf. Dem ist aber i.d.R. nicht so, sondern eher Fenster zu, Heizung an. Dementsprechend "angenehme" Temperaturen hat man hier überall, heißt sehr stickig und äußerst warm. Auch beim Schlafen wird das Fenster nicht geöffnet - naja so langsam gewöhne ich mich daran und gleiche das mit einem morgendlichen Spaziergang oder zumindest dem Weg zur Uni wieder aus.
Dass das Licht im Flur und im Bad durchgehend eingeschaltet bleibt, auch daran musste ich mich zunächst gewöhnen. Zu Anfang habe ich immer aus Gewohnheit alles ausgeschaltet, weshalb ich mehrmals Schelte bekam mit der Begrüdung: "Du musst das Licht brennen lassen, sonst brennen die Glühbirnen schneller durch und die sind teuer!" - "Alles klar!"

Ansonsten kann ich Euch berichten, dass mein erster Film entwickelt ist und im Netz steht (werde gleich mal versuchen den auf dieser Seite zu verlinken), der Film meiner Anreise ist leider gar nichts geworden, weil ich wohl eine Einstellung an der Kamera falsch gewählt habe. Darum bin ich sehr traurig, aber weitere Reisen folgen bestimmt und dann gibt es neue Fotos.

Soviel zunächst einmal und viele Grüße!

Raphael

Montag, 16. Februar 2009

Mit der S-Bahn nach Wolgograd

Hi zusammen, hier also mein erster Eintrag:

Ich bin am letzten Freitag, dem 13.2. aus Koeln abgeflogen. Der Flug verlief aeusserst entspannt, und wir sind puenktlich um 11:40 uhr in Moskau gelandet. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch Hoffnung den Zug No.1 in Moskau zu erreichen, der dort um 13:40 den Bahnhof verlaesst. Allerdings machte die Passkontrolle am Flughafen einen Strich durch meine Rechnung: Der Einlass ins Land nahm eine halbe Stunde in Anspruch.
Daraufhin habe ich, wie vorher bereits ueberlegt meine Plaene geaendert und einfach versucht den Zug No.379j um 13:50 Uhr zu erreichen. Dieser hatte im Vergleich mit No.1 allerdings den geringfuegigen Nachteil, dass er fuer die knapp 1000 km Gleis von Moskau nach Wolgograd statt 18,5 Std exakt 30 Std. benoetigte. Allerdings machte mir das nicht wirklich zu schaffen, da ich nicht in Eile war und fuer ein Taxi vom Flughafen zum Bahnhof war ich zu geizig.
Ich bin dann also mit einer sog. Marschrutka (einem kleinen Buss, der zum "Presswagen", also Menschen und Koffer auf engstem Raum) ins Zentrum gefahren. Von dort hatte ich einmal die Moeglichkeit in die Tiefen der Moskauer U-Bahn hinabzufahren, um dann am Paweletskij Woksal, dem Bahnhof einzutreffen.
Also ging es ab zum Schalter und in vortrefflichem Russisch wurde ein Ticket nach Wolgograd geordert ("Sind Sie sicher?, der faehrt SEHR lang!, Also 30 Std." - "Ja")
Nachdem ich mich mit ordentlich Proviant fuer eine entsprechende Fahrt ausgeruestet hatte (wobei ich natuerlich die Zahnbuerste vergass) ging es dann zum Zug, wo ein weiteres mal von der sog. Prowodniza das Ticket und vor allem auch die Papiere kontrolliert wurden.
Aaah der Junge ist deutsch. "Ich sprechen deutsch" - na super, also nichts wie rein in die gute Stube.
Da ich sehr frueh war, war der Wagon in den ich einstieg fast leer und ich konnte mich in Ruhe einrichten. Der Wagon hatte die Innenausmasse einer deutschen S-Bahn, wobei darauf zu achten ist, dass er trotzdem wg. der Hoehe von aussen nicht sehr klein erscheint. Auf diesem Platz gibt es dann im Platzkart-Bereich(die guenstigere Kategorie) zur linken in einem Abschnitt jeweils vier Pofen (2X2 uebereinander, mit einem Tisch in der Mitte), deren Kopf, bzw. Fussenden zum Fenster respektive Gang ausgerichtet sind. Hinter dem kleinen Gang, gibt es dann noch einmal eine Art herunterklappbaren kleinen Kneipentisch mit zwei Sitzen links und rechts, der Nachts dann auch zur Ruhestaette umgebaut wird (oben drueber ist natuerlich auch noch ein herunterklappbares Bettchen). Also alles in allem eine recht gemuetliche Sache, zumal ich dann in der naechsten halben Stunde feststellen musste, dass der Zug auf den ersten paar 100 km ausgebucht war. Meinen Sitznachbarn wurde ich von der Prowodniza Elena mit den Worten, "das ist ein Auslaender, ein Deutscher" vorgestellt, was aber durchaus nicht boese gemeint war und sich nur als erster Gespraechsgeber entpuppte.
So kesselte man gemaechlich mit gefuehlten max. 50 km/h richtung Wolgograd. Spaeter sollte ich noch erfahren, dass der Zug zudem zwischendurch noch mal eben in eine Sackgasse einbiegt und wieder zurueck auf die Strecke faehrt.
Den Weg ueber wurde ich dann mit allen erdenklichen Essenssachen von den Oems runtherum versorgt und Elena liess es sich auch nicht nehmen mir auf ihrem Ofen etwas Fertigkartoffelpueree zuzubereiten.
Spaeter erfuhr ich dann, dass ich wohl der einzige Passagier sei, der mit diesem Zug den kompletten Weg abfaehrt und die Frage "warum gerade diesen Zug" musste ich mir noch so manches mal anhoeren. Die Nacht ueber konnte ich dann herrlich schlafen, wahrscheinlich weil ich von den Gespraechen und der vorherigen Reise gut geschafft war.
Zudem ging man waehrend der Aufenthalte im Bahnhof noch mal kurz mit der Prowodniza einkaufen oder ueber den Bahnsteig, wo stets ein kleiner Markt aufgezogen wurde, in dem Pelmeni, Fisch oder Honig feilgeboten wurden - gut, dass ich mich in Moskau mit gar nicht mal so guten Krapfen eingedeckt hatte.
Als wir uns dann dem Ziel naeherten legten mir mehrere Fahrgaeste nahe, doch bloss nicht wie geplant mit dem Taxi ins Wohnheim zu fahren, das waere doch viel zu gefaehrlich!
Das Problem war nur, dass sich daraufhin, ohne mein eigenes Eingreifen (das Sprechen geht noch nicht so fluessig von der Hand) eine Gruppe von Fahrgaesten und Elena um meine Betreuung in Wolgograd stritten. Elena: "Ich kenne diese Leute nicht, hinter rauben die dich aus, ich mache mir Sorgen, hau dich hier im Zug eine weitere Nacht hin". Die Leute inkl. einer anderen Prowodniza, die grob in meinem Alter war: "Die Oem hat zwei Gesichter, die will nur an Dein Geld, bei uns kriegst du ein Zimmer und die Kinder und die alte Oem im Haus sprechen deutsch, zudem wohnen wir fast am Wohnheim...". Ein wenig seltsam kam mir das alles vor, aber weil eine andere Fahrgastoem mir auch dringend abrieht ein Taxi zu nehmen entschloss ich mich Elenas Angebot anzunehmen.
Ich bin dann Abends noch mit einem kleinen Teil des Zugpersonals in einen anderen Wagon gegangen (Elena ruhte sich in meinem Wagon hin) und man trank noch ein paar Humpen Bier und fuehrte die ueblichen Gespraeche (wie issat denn in Russland/Deutschland mit ... (Militaer, Kohle etc.)). Anschliessend stiefelte man ueber die Abstellgleise des Bahnhofs zu "seinem Wagon" und legte sich in aller Ruhe ruhen - MAL SAGEN. Mir war dann schon etwas komisch zumute, als ploetzlich gegen fuenf Uhr die Wagons ploetzlich kurz anruckten oder irgendwelche Leute herumschlurften und Arbeiten ausfuehrten). Das Problem war zudem, dass ich kein Guthaben mehr auf dem Handy hatte und quasi in dem Wagon gefangen war.
Im Endeffekt stellte sich dann aber alles als hamlos heraus, mit dem einzigen Problem, dass "Mutter Glueck" aeusserst anhaenglich wurde und von mir als ihrem Sohn sprach und mich dann auch unbedingt persoenlich am Wohnheim mit einer Marschrutka absetzen musste.

Wie dem auch sei, ich bin gut ueber, kann das Reisen im Zug in Russland aeusserst empfehlen (zu erleben wird man immer etwas haben), zumal die Reise 20 Euro kostete und berichte dann demnaechst mal wie es mir an Wohnheim und Uni ergeht.

Beste Gruesse nach good old!

Raphael